Golf und Olympia im Grenzbereich

Fast vergessenes Erbstück aus deutscher Vergangenheit: Am Stadion, heute „Olimpik Park“ in Slubice wurde ab 1914 gebaut, dazu gehört ein olympisches Schwimmbecken
Ein Ausflug an das östliche Oder-Ufer – und in längst vergessene deutsche Sporthistorie
Ja

Corona-bedingt mussten die Olympischen Spiele 2020 in Tokio um ein Jahr verschoben werden – sportlich und wirtschaftlich ein Supergau für die japanische Hauptstadt. Berlin traf es vor gut 100 Jahren noch wesentlich härter. Was heute an der Spree kaum noch jemand weiß: Ursprünglich sollten die Olympischen Sommerspiele in Berlin nicht erst 1936, sondern schon 1916 stattfinden, im unter Kaiser Wilhelm II. erbauten „Deutschen Stadion“ in Charlottenburg. Doch dann kam der Erste Weltkrieg dazwischen. In Berlin selbst erinnert nichts mehr an die einst geplanten Spiele – dafür aber 80 Kilometer weiter östlich, im polnischen Slubice.

Andreas von Bandemer musste im vergangenen Frühjahr sehr viel Geduld aufbringen. Erst am 19. Mai war es dem ambitionierten Freizeitgolfer vergönnt, zusammen mit einem Golffreund die allererste Runde des „neuen“ Jahres auf seinem Heimatplatz zu spielen – als allerletzter unter mehr als 700 „Amtskollegen“ in Deutschland.

Andreas von Bandemer ist seit mehr als einem Jahrzehnt Präsident des Golfclubs von Frankfurt an der Oder. Was dieses Ehrenamt außergewöhn-lich herausfordernd macht, ist ein Superlativ der besonderen Art: Die sport-liche Heimat der Frankfurter Golfer ist der östlichst gelegene Golfplatz aller dem Landesgolfverband Berlin-Brandenburg und dem Deutschen Golfverband (DGV) angeschlossenen Clubs. Aber „Debowa Polana“  liegt nicht am linken, westlichen Ufer des hier knapp 200 Meter breiten Grenzstroms und damit nicht auf deutschem Boden, sondern auf der rechten Flussseite, am südlichen Stadtrand der polnischen Kleinstadt Slubice. Das ist zwar im sportlichen Alltag kein Störfaktor mehr. Schlagbäume auf der Oderbrücke zwischen den beiden Städten, die bis 1945 eine waren, und langwierige Passkontrollen waren hier jahrelang nur noch eine immer mehr verblassende ferne Erinnerung, bis Corona kam und der Strom für einige Monate wieder zur hermetisch abgeriegelten Grenzlinie wurde. Mit fatalen Folgen für den Golfclub: Während die strikten, pandemiebedingten Reiserestriktionen nahezu überall in Deutschland die Mitgliederzahlen der Golfclubs deutlich ansteigen ließen, zeigte die erzwungene, ungewöhnlich lange Abstinenz bei den Frankfurter Golfern die gegenteilige Wirkung. Im Laufe des vorigen Winters meldeten sich gut 30 Aktive ab; die Mitgliederzahl des GC Frankfurt/Oder sank auf unter 100.

Golfclub-Präsident Andreas von Bandemer im Olimpik Park, ein Relikt aus der deutschen Kaiserzeit gleich neben seinem Golfplatz
Eben, aber voller Tücken präsentiert sich der Golfplatz Debowa Polana (Eichenlichtung), der auch den Golfern aus Frankfurt/Oder als Heimatplatz dient

Hinzu kommen rund 60 aktive Golfer beim polnischen Partnerclub „Slubickie Pole Golfowe“, mit dem sich die Frankfurter Golfer die Neun-Loch-Anlage „Debowa Polana“ in der Oderniederung teilen. Der rasante Golf-Boom im deutsch-polnischen Grenzgebiet, auf den schon in den Nuller-Jahren die ursprünglichen dänischen Investoren allzu optimistisch spekuliert hatten, ehe sie sich – Golfplatz und Steuerschulden in beträchtlicher Höhe hinter sich lassend – in einer Nacht- und Nebel-Aktion klammheimlich vom Acker machten, lässt weiter auf sich warten. Der flache, aber wegen etlicher Gräben und Wasserhindernisse insbesondere für Ortsfremde durchaus fordernde Kurs hinterm Oderdeich hat in Sachen überregionaler Anziehungskraft noch Luft nach oben.

Dabei hat das Slubicer Sport- und Erholungszentrum unmittelbar neben den Fairways der Golfanlage eine Menge zu bieten. Auf dem Gelände gleich hinter dem von überwiegend deutschen Schnäppchenjägern tagtäglich gut besuchten „Basar Slubice“, landläufig auch „Polenmarkt“ genannt, gibt es unter anderem ein Beach-Volleyball-Feld, einen Schießplatz, eine Minigolfanlage, ein Schwimmbad, eine Tennis- und Turnhalle sowie eine im Winter auch von Frankfurter Grenzgängern gern genutzte Eissporthalle.

Über alledem aber erhebt sich ein unübersehbares, wenn auch – trotz seiner monumentalen Größe – westlich der Oder fast vergessenes Erbstück aus deutscher Vergangenheit: der “Olimpik Park Slubice”, einst im Deutschen Reich als „Ostmarkstadion“ bekannt. Dabei hat, vordergründig betrachtet, diese Sportstätte mit den olympischen Ringen ähnlich viel zu tun wie der unmittelbar benachbarte Golfplatz auf der Eichenlichtung mit der PGA-Tour oder dem Ryder Cup.

Die städtische Betreibergesellschaft der Sportstätten SOSIR freilich setzt konsequent auf die besondere Zugkraft des Namenszusatzes „Olimpik“ und benutzt ihn demonstrativ für das Stadion, das unmittelbar an die Laufbahn angrenzende Freibad „mit olympischem Schwimmbecken“ und auch für das benachbarte, vor kurzem frisch aufgemöbelte Sporthotel aus jüngerer Zeit. Olympia auf Schritt und Tritt, auch wenn man sich dabei, historisch gesehen, um zwei volle Jahrzehnte vergaloppiert hat.

Manche Besucher halten die 2003 aufwendig renovierte, heute rund 7 000 Sitzplätze umfassende Tribüne mit ihren trutzigen, aus massiven Bruchsteinen gemauerten Rundbogen-Kolonnaden und Arkaden-Gängen für ein Relikt aus der NS-Zeit. Doch in Wahrheit ist die ziemlich aus der Zeit gefallene und für eine Kleinstadt wie Slubice fast schon monströs erscheinende Sportstätte noch um Einiges älter.

An ihr gebaut wurde schon ab 1914 und dann, nach einer kriegsbedingten mehrjährigen Unterbrechung, wieder in den zwanziger Jahren – nach einer Art Blaupause aus dem nur 80 Kilometer entfernten Berlin. Sportliches Vorbild war das 1913 von Kaiser Wilhelm II. eröffnete “Deutsche Stadion” in Berlin-Charlottenburg. Mit seinen rund 40 000 Zuschauerplätzen war diese Arena vorgesehen als zentrale Wettkampfstätte für die Olympischen Sommerspiele 1916, die der mittlerweile wütende Erste Weltkrieg verhinderte.

Als Berlin mit zwei Jahrzehnten Verspätung endlich Olympiastadt wurde, war das kaum zu internationalen sportlichen Ehren gekommene Deutsche Stadion nur noch eine verblasste Fußnote der Geschichte. Für die gigantische Propaganda-Show, als welche die neuen braunen Herrscher die Olympischen Spiele von 1936 nutzen wollten, war das Stadion aus der Kaiserzeit ein bis zwei Nummern zu klein geraten. Es wurde Anfang der dreißiger Jahre geschleift und durch das riesige neue Olympiastadion ersetzt – und geriet in der Berliner Stadthistorie vollends in Vergessenheit.

Die kleine Kopie des „Deutschen Stadions“ am Ostufer der Oder hingegen wurde in den zwanziger Jahren vollendet und überstand in der Folgezeit weitgehend unbeschadet alle Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts.

Heute wirkt das Stadion-Oval aus der Kaiserzeit um etliche Nummern zu groß geraten für den örtlichen Leichtathletik-Verein LKS Lubusz und den Fußball-Regionalligisten Polonia Slubice, deren sportliche Aktivitäten sich in aller Regel vor einer sehr überschaubaren Zuschauerkulisse abspielen. Am besten besucht sind noch die alten olympischen Schwimmbecken gleich neben den Laufbahnen, die in den Sommermonaten den Slubicern als Freibad dienen.

Sich mit einem überaus bescheidenen Jahresetat von rund 30 000 Euro fi-nanziell über Wasser zu halten, war insbesondere für die Golfanlage unterhalb des historischen Stadions in den vergangenen Jahren stets eine besondere Herausforderung. Die städtische Betreibergesellschaft SOSIR war denn auch nicht unglücklich, als im Sommer 2020 Janusz Chmiel, der Eigentümer des benachbarten Olimpik Park Sporthotels, Interesse anmeldete, den Golfplatz künftig privat zu betreiben.

Unterstützt vom golfbegeisterten ehemaligen Landrat Leopold Owsiak, der die Anlage als Golfdirektor nach vorne bringen soll, will Chmiel in Zukunft auch Golftouristen nach Slubice locken. Bislang beschränkten sich diese auf die gut zwei Dutzend Fernmitglieder des GC Frankfurt/Oder aus der Bundeshauptstadt, für deren sehr spezielle „Package-Deals“ Andreas von Bandemer durchaus Verständnis hat: „Die kommen als Tagesausflügler eine Runde golfen, aber dann tanken sie hier auch, kaufen Zigaretten, gehen shoppen im Basar, aber gerne auch zum Friseur oder in die Zahnklinik. Das alles ist hier auf der polnischen Seite deutlich billiger als in Deutschland.“

Janusz Chmiel und Leopold Owsiak haben viel versprechende Pläne: So-wohl das Clubhaus als auch der Golfplatz selbst sollen ein deutliches Up-grade erfahren. Und da neue Besen bekanntlich gut kehren, gelingt es vielleicht endlich, aus dem deutsch-polnischen Nebeneinander im Golfbetrieb ein Miteinander zu machen. Bislang kamen gemischte, binationale Flights auf der Eichenlichtung so gut wie nie zustande. Als nahezu unüberwindbar erweist sich immer wieder die Sprachbarriere: nur wenige Frankfurter sprechen Polnisch, und vor allem ältere Polen im Oderland – sie oder ihre Eltern wurden nach dem Zweiten Weltkrieg überwiegend aus dem an die Sowjetunion verlorenen Ostpolen an die neue Westgrenze umgesiedelt – und verstehen weder Deutsch, noch Englisch.

Dabei werde gerade auf dem Gebiet des Sports „die gute und immer bes-ser werdende Zusammenarbeit von Frankfurt und Slubice“ besonders deutlich, findet Andreas von Bandemer: „Slubicer, die zum Beispiel im Sommer unter freiem Himmel Tennis spielen wollen, fahren rüber nach Frankfurt; bei schlechtem Wetter oder im Winter hingegen kommen die Frankfurter herüber in die Slubicer Tennishalle, hier neben dem Golfplatz. So vermeiden die beiden Städte unnötige und teure Doppelungen in der Infrastruktur.“

Andreas von Bandemer und seine Golffreunde hoffen, dass die Schlagbäume auf der Oder-Brücke trotz Pandemie weiter offen bleiben. Eins ist immerhin gewiss: Der am polnischen Oder-Ufer schlummernde „Olimpik Park“ mit Wurzeln in der deutschen Kaiserzeit hat schon ganz andere Krisen überstanden.

Wolfgang Weber

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